“Eis und Stahl”
Wladimir Deschewos Oper über die russische Revolution in Saarbrücken
Von Jörn Florian Fuchs
Den Namen Wladimir Deschewow kennen nicht einmal gut informierte Musikwissenschaftler. Der russische Komponist lebte von 1889 bis 1955 und schrieb eine Vielzahl von Stücken in den Genres Ballett, Märchenoper, Operette. Dazu kam 1930 die Revolutionsoper “Eis und Stahl”. Ein paar mal wurde sie gespielt, dann verschwand sie in den Archiven. Auch in seiner Heimat sind der Komponist und seine Werke weitestgehend vergessen, was wohl schlicht daran liegt, dass die Musik ein bisschen nach Schostakowitsch, etwas nach Prokofjew und manchmal vielleicht sogar ein wenig nach Ljadow klingt. Dass sie sehr bühnenwirksam ist, beweist die spektakuläre Saarbrücker Produktion von “Eis und Stahl”. Die Handlung spielt 1917 kurz nach der Revolution, als sich eine nicht unbeträchtliche Handvoll Matrosen auf der Festungsinsel Kronstadt, vor dem heutigen St. Petersburg, überraschend gegen die neue bolschewistische Herrschaft wandte. Der Aufstand wurde blutig niedergeschlagen und auf beiden Seiten gab es viele Opfer.Deschewow und sein Librettist Boris Lawrenjow erzählen die Geschichte der jungen, regimetreuen Musja, die sich als Spionin unter die Matrosen mischt, enttarnt und grausam gefoltert wird und – als sie keinen anderen Ausweg mehr sieht – sich und die Feinde mit einer Granate in die Luft sprengt. Der Handlungsrest sind Diskussionen zwischen Reaktionären, Bolschewiki und Anarchisten, hinzu kommt eine nicht mal richtig angedeutete Liebesgeschichte sowie jede Menge militaristisches Geschwafel. Man diskutiert auf der Insel und in einem Stahlwerk, berät über Lageplänen und begibt sich schlussendlich aufs Eis, denn das verbindet St. Petersburg mit Kronstadt. Dramaturgisch ist das Ganze äußerst hemdsärmelig, die Dramatik ergibt sich jedoch durch die ununterbrochen vorwärts drängende, nie luftholende Musik.
Maschinengeräusche, krachende Klangkaskaden, überhitzte Tempi, exaltiertes Blech – alles verbindet sich zu einer unerbittlich fortschreitenden, alles überrollenden Orchesterwalze. Auch der Chor – er verkörpert mal die eine Seite, mal die andere, mal Generäle und Polizei, mal eher unscheinbare Beobachter – hat ständig zu tun. Der Chor ist überhaupt die treibende Kraft, hier erweisen sich sowohl Deschewow wie der Regisseur Immo Karaman (und der Choreograph Fabian Posca) als echte Meister ihres Fachs. Beeindruckend schleppt sich da die tumbe Masse Mensch über die Bühne – und zermalmt erbarmungslos immer wieder einzelne ‘Humanelemente’.
“Eis und Stahl” ist ein Agitationsstück, das nur ein Ziel hatte: die bolschewistische Revolution zu stützen bzw. zu legitimieren. Immo Karaman inszeniert fast die ganze Oper ungebrochen librettogetreu, es wird sowohl verbal wie physisch heftigst agiert und agitiert. Sehr wirkungsvoll ist das Bühnenbild von Johann Jörg: eine schräge Holzplatte, ein bewegliches Stahlgerüst und eine Reihe von gemalten Prospekten mit leichten Anklängen an die russische Avantgarde, aber auch an sozialistischen Volkskitsch. Den, wenn man so möchte, erlösenden Clou gibt es erst in den letzten Minuten: nachdem sich Musja in die Luft gesprengt hat, bleibt sie mit erhobenen Armen reglos auf einem Podest stehen. Langsam kommen die ‘Sieger’ herbei – und werden der Reihe nach aus dem Off erschossen. Dazu spielt die Musik, immer leiser werdend, vom Band. Zuletzt holt man dann wenig elegant die zur Statue erstarrte Selbstmordattentäterin vom Sockel. Dadurch bekommt das Stück einen Rahmen, in dem nun alles vorherige plausibel wird. Besser kann man das Scheitern einer gutgemeinten, aber letztlich verheerenden Utopie wohl kaum darstellen.
Auch musikalisch ist dem Theater Saarbrücken ein Glanzstück gelungen, Anna Toneeva als Musja ragt aus dem übrigen Ensemble zwar etwas heraus, aber man singt insgesamt auf Spitzenniveau. Pablo Assante studierte den gewaltigen Chor perfekt ein, am Pult sorgte Will Humburg für Präzision und Power.